Dagefördes Hühner

Als ich Volontär war, da lernte ich: ,,Zum Zeitungsmachen gehört, dass jeden Tag eine Sau durch's Dorf gejagt werden muss, um die Leser am nächsten Tag zu packen." Sagte er. Er, das ist heute ein Spitzenjournalist, der von Hamburg aus mit seinem Medium unsere Meinung macht. ,,Später", fuhr er fort, ,,reichte die Sau nicht mehr. Wir jagten täglich ganze Sauherden durch. Und heute ..." hier wurde er leiser und wirkte alles andere als glücklich, ,,heute müssen wir täglich das Dorf wechseln, um dran zu bleiben."

Womit wir beim Thema Presse sind und denen, über die diese berichten. Und diese dabei manchmal presst. Nicht umsonst heißt Presse wegen dieses Pressens auch „vierte Gewalt"

Beispiel: ,,Kirchen-Knatsch" in Oldenstadt (,,Aufhänger" der AZ am 17. Februar). Bei diesem Aufhänger lässt sich gleich wieder kritisieren, dass da eine Verniedlichung von Ernsthaftem stattfinde, eine Verharmlosung von dem, was Menschen am meisten schmerzt: Spaltung. Da wird von der Spaltung einer Gemeinde geschrieben, eine zwischen denen und anderen, zwischen jenen und solchen, zwischen dem und der, vor allem durch die oder den. Nun kommt eine Spaltung nie dadurch allein zustande, dass eine Person - hier ausgerechnet" ein Pastor - vor sich hin gespaltet haben soll. Dazu würde es auch welche brauchen, die auf Spaltungsversuche eingehen, sie annehmen und dadurch weitertragen. Andere Möglichkeit: Da wirft jemand jemandem vor ,,Pfui, der spaltet!” – um sich hinter eben dem zu verstecken mit der eigenen Lust oder Not, aus der heraus Spaltungsgelüste entstehen. Manche Spaltungen wiederum entstehen dadurch, dass sich schlicht ,,die Geister scheiden"? Das tun Geister mit Vorliebe an anderen Geistern, die komplexer, mindestens anders sind als der eigene.

Alle, die auf den Bühnen dieser Welt stehen, stehen unter Leistungsdruck. Wie die Journalisten mit ihren Sauherden. Zu den ältesten Bühnen unseres Kulturkreises gehören Kirchen-Kanzeln und auf denen stehen Leute unter Druck, nicht nur herausragend, sondern auch noch Vorbild derer sein zu müssen, die unter ihrer Kanzel zuhören. Ganze Krankheiten entstehen unter diesem Druck. Kanzel- und Kanzlerkrankheiten, Vorsitzenden- und Oppositionsführer-Krankheiten.

Journalisten sind zwar auch gefährdet, weil und wenn sie ethischen Grundsätzen folgen. Aber sie sind dazu da, über Polaritäten zu schreiben, über Gegensätzliches und Gegenteiliges. Unsere wirklich persönliche Meinung werden wir in keinem Artikel, Aufsatz oder Feature oder dieser Kolumne finden. Die müssen wir leider immer selbst suchen. Ob wir über die Presse, die Schäubles oder die Dagefördes unserer Welt herziehen. Ziehen wir also weiter. Mit unseren Säuen, die wir durch die Dörfer unserer Seelen jagen.

Die Hühner, die Pastor Dageförde zur ,,Aussprache" in die Kirche mitnahm - waren sie Symbol für das Lachen der Hühner (über was?) oder Symbol für das Halsumdrehen (von wem?).

22. Februar 2000